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17.41 Uhr | 28. Juni 2013
Wormser Einzelhändler beantragen nach erfolglosem Anlauf im letzten Jahr erneut verkaufsoffenen Sonntag „zwischen den Jahren“ am 29. Dezember von 13 bis 18 Uhr / Einwände von Kirchen und Gewerkschaften

Braucht Worms einen 3. verkaufsoffenen Sonntag?

Die lange Einkaufsnacht am 8. Juni zeigte deutlich, wie sehr auch das Shopping zu einem Familienevent werden kann.Archivfoto: Lili Judith Oberle

Die lange Einkaufsnacht am 8. Juni zeigte deutlich, wie sehr auch das Shopping zu einem Familienevent werden kann.Archivfoto: Lili Judith Oberle

VON ROBERT LEHR Steffen Jost sieht es pragmatisch: „An diesem Tag haben die Meisten Zeit und Geld“. Der Inhaber des gleichnamigen Modehauses mit seinen vier Niederlassungen in der Region und einer am „Römischen Kaiser“ weiß genau, von was er spricht. Der mittelständische Familienunternehmer aus Grünstadt ist zugleich Präsident des Bundesverbandes des deutschen Textileinzelhandels (BTE) und Vizepräsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE). Er kennt die Nöte seiner Branche, die von der Konkurrenz durch den Online-Handel massiv bedroht wird.  Daher unterstützt auch er den Antrag vom 24. Juni auf einen verkaufsoffenen Sonntag  in Worms am 29. Dezember diesen Jahres. Das entsprechende 3-seitige Papier liegt dem Nibelungen Kurier vor und wurde von den hiesigen Geschäftsführern der Galeria Kaufhof, der Jakob Jost GmbH, der ITG GmbH & Co KG Kaiser Passage, der Industrie- und Handelskammer für Rheinhessen (IHK) und dem Stadtmarketing Worms e.V. unterschrieben.

Rund 130 Wormser Unternehmen stehen neben den Unterzeichnern hinter dem Ansinnen. Im letzten Jahr war ein ganz ähnlicher Antrag von Seiten der Stadtverwaltung zurückgewiesen worden. In der Pressemitteilung, die der Ablehnung folgte, hieß es damals zur Begründung, dass sowohl „die Gewerkschaften als auch die Kirchen mit Verweis auf die Belange der Beschäftigten im Einzelhandel und die in der Verfassung besonders hervorgehobene Bedeutung der Sonn- und Feiertagsruhe“ Bedenken geäußert hätten. Obwohl sich an dieser grundlegenden Haltung nichts geändert haben dürfte, unternehmen die Geschäftsleute jetzt einen erneuten Anlauf. Dabei soll laut Antrag unter dem Motto „Jahresausklang“ ein „Einkaufserlebnis für die ganze Familie“ ermöglicht werden. Dies stärke nicht nur die Nibelungenstadt als Einzelhandelsstandort und lasse gute Umsätze erwarten, sondern trage dem Wunsch der Kunden Rechnung, unterstreicht der Antrag. Darüberhinaus stehe man nicht nur in direkter Konkurrenz zu Internetanbietern, sondern auch zu den benachbarten Kommunen, welche die Tendenz zeigten, „die gesetzlich maximal zulässige Zahl auszuschöpfen“. Wesentlicher Bestandteil einer Strategie zur Attraktivitätssteigerung der Innenstadt sei das Schaffen von Einkaufs-events, welche die Aufenthaltsqualität der Innenstadt verbessern und langfristige Imagewerbung betreiben.

„Eher tolerabel“ fände der Evangelische Dekan Storch auf Nachfrage einen 3. Verkaufsoffenen Sontag irgendwann im Jahr.  Doch jener zwischen den Jahren solle der Familien und der Besinnung vorbehalten bleiben. Mit seinem katholischen Kollegen Manfred Simon sieht Storch sich in der Bemühung einig, neben der religiösen auch die sozial-ethische Komponente zu berücksichtigen. Die sieht auch der Wormser DGB-Vorsitzende Wolfgang Mayer gefährdet. Auch wenn versichert würde, es kämen nur Freiwillige an diesem Tag zum Einsatz und das zu entsprechenden Feiertagstarifen – sie blieben als Angestellte vom Arbeitgeber abhängig, was die „Freiwilligkeit“ doch etwas relativiere“. Für IHK-Chefin Andrea Wensch steht fest: „In benachbarten Kommunen ist man da weiter“. Maximal 4 verkaufsoffene Sonntage seien durch das Landesgesetz möglich. „Mit unserem Mantelsonntag und Worms blüht auf“ haben wir noch „Luft nach oben“.

„Abstimmung mit den Füßen“ könnte Klarheit bringen

Ein Kommentar unseres Redakteurs Robert Lehr

Es mutet kurios an: Sowohl Befürworter wie auch Gegner eines verkaufsoffenen Sonntages unmittelbar nach Weihnachten führen als Argument für ihre grundverschiedenen Standpunkte einen „Entschleunigungseffekt“ ins Feld. Für den Evangelischen Dekan Harald Storch gehört dieser spezielle Tag zum weihnachtlichen Festkreis, der Familienleben und Besinnung diene und daher besonders schützenswürdig sei. Für die Händler „entschleunige“ ein zusätzlicher Verkaufstag den nachweihnachtlichen bzw. vorsilversterlichen Stress vieler Familien und bietet zudem die Möglichkeit, sich gemeinsam mit den Lieben dem Shopping hin zu geben. Die Entscheidung der Stadt darf mit Spannung erwartet werden.

Mit Kirchen und vor allem mit Gewerkschaften hat ein sozialdemokratisches Stadtoberhaupt mit einem christdemokratischen zweiten Mann an der Seite, mächtige Gegner. Der Einzelhandel jedoch ist wichtiger Steuerzahler und Arbeitgeber. Klarheit brächte sicherlich die Möglichkeit einer „Abstimmung mit den Füßen“: Man sähe, ob die Kirchen weniger voll, die Innenstadt passabel frequentiert und die Geschäfte gut gelaufen sind. Abgesehen davon sollte es jedem überlassen bleiben, wie er sich entschleunigt. Vielleicht hat aber auch die Lebenswirklichkeit sich selbst schon so beschleunigt und die moralischen Gegenargumente längst überholt? Man mag dies zu Recht kritisieren, zur unumstößlichen Tatsache gehört allerdings, dass die Situation nicht nur des Wormser Einzelhandels die Bemühungen rechtfertigt.

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