„Die Motive wollten zu Papier gebracht werden“

Während der Kulturnacht am 8. Juli ist der Berliner Künstler mit einer Live-Performance um 20.15 Uhr, 21.15 Uhr, 22.15 Uhr, 23.15 Uhr und 0.15 Uhr im Mozartsaal zu Gast. Foto: Max Helbig
Von Vera Beiersdörfer | Ohne Vorzeichnung, in akribischer Geduld, reiht der Füllermaler Axel Neumann zahllose Striche nach einem eigenen System aneinander, keiner größer als 1-2 mm. Es sind Bilder mit fantastischen Formen und leuchtenden Farben, die an mystische, florale Gebilde aus der Natur erinnern.
Während der Kulturnacht am 8. Juli ist der Berliner Künstler mit einer Live-Performance um 20.15 Uhr, 21.15 Uhr, 22.15 Uhr, 23.15 Uhr und 0.15 Uhr im Mozartsaal zu Gast. Der Eintritt ist nur mit Kulturnachtbändchen möglich.
Der NK hat im Vorfeld zu seiner neo-romantischen Ausstellung mit Axel Neumann über seine Kunst gesprochen.
NK: Herr Neumann, schaut man sich in Museen und Galerien um, kann man unzählige Werke der verschiedensten Epochen und Kunstschaffenden bestaunen. Jedoch weisen die meisten eine augenscheinliche Gemeinsamkeit auf, sie wurden mit dem Pinsel erschaffen. Wieso haben Sie sich gegen die „klassische“ Variante des Malens entschieden?
A.N.: Ganz einfach, weil ich gerne Dinge mache, die andere nicht können und auch der Meinung bin, dass andere das Malen mit dem Pinsel viel besser beherrschen als ich das tue. Zudem konnte ich mit dem Pinsel gar nicht abbilden, was auf meinen Bildern zu sehen ist. Meine Motive können nur mit dem Füller entstehen.
NK: Eigentlich verbindet man einen Füller ganz automatisch mit Tinte – wie kam es dazu, dass Sie das Schreibgerät mit Acrylfarbe befüllt haben?
A.N.: Anfänglich hatte ich tatsächlich versucht, die Bilder mit Tinte zu malen, aber damit bin ich ganz schön auf die Schnauze gefallen. Tinte verblasst und die Farbintensität geht verloren.
NK: So einfach, wie es sich anhört, ist es aber nicht. Man kann nicht etwa einen beliebigen Füller mal eben mit der Acrylfarbe aus dem Baumarkt befüllen und loslegen?
A.N: Nein! Das können Sie ja gerne mal ausprobieren, da wird sich nichts tun. Die Kombination ist technisch widersinnig. Eigentlich müssten die Pigmente den Tintenleiter verstopfen. Die Farbe, die ich verwende, habe ich selbst aufbereitet. Auch der Füller muss einwandfrei sein, ein Klecks auf dem Bild und die Arbeit wäre ruiniert.
NK: Ist das schon mal vorgekommen?
A.N.: Nein, zum Glück nicht, aber da überlasse ich nichts dem Zufall. Ein Bild besteht aus mehreren hunderttausend bis millionen einzelner Striche, da möchte man ungern wieder von vorne anfangen.
NK: Wie lange dauert die Entstehung eines derart filigranen Kunstwerks?
A.N.: Das kann ich so gar nicht beantworten. Es dauert Monate, teilweise Jahre, bis ein Großformat vollendet ist. Ich arbeite etwa 14 bis 18 Stunden am Tag.
NK: Das ist ja ein langer Arbeitstag.
A.N.: Schon, aber das sollte man sich nicht wie einen klassischen Arbeitstag vorstellen, weil die Füllermalerei eine Art durchgehende Meditation ist, bei der ich ganz versunken in mein Tun bin. Für die 74 Exponate, die ich in Worms ausstelle, habe ich Jahre gebraucht. Natürlich war ich zwischendurch immer wieder als Schauspieler tätig und habe dann mit der Malerei pausiert. Ich genieße den Luxus, nicht unter Zeitdruck arbeiten zu müssen. Diese Freiheit ist in unserer heutigen, schnelllebigen Zeit ein hohes Gut.
NK: Wieso Füllermalerei? Wie kam es ursprünglich dazu, dass Sie Bilder mit dem Füller auf Karton malten?
A.N.: Vor 25 Jahren hatte ich im Vorfeld zu meinen dreiwöchigen Theaterferien geplant, die spielfreie Zeit zu nutzen, um meinen Horizont mittels einer Extremsituation zu erweitern. Als Schauspieler bin ich gern das, was ich den Menschen vorgebe zu sein. Ich verschmelze mit meinen Rollen. Ich bin überzeugt, dass jeder von uns ein ungeheures Universum an Charakteren in sich trägt und meine Aufgabe als Menschendarsteller ist es, den für den Film oder das Stück benötigten Charakter aus mir herauszuholen. Ich könnte nie ad hoc los spielen, ich brauche immer Zeit zur Vorbereitung. Die Ferien wollte ich daher nutzen, um meine eigene innere Stimme wieder stärker wahrzunehmen. Hierfür isolierte ich mich in meiner abgedunkelten Einzimmer-Wohnung komplett von der Außenwelt. Die so genannte sensorische Deprivation ist der Entzug von äußeren Reizen und wird bei neurologischen und psychologischen Experimenten oder eben zur Bewusstseinserweiterung eingesetzt. Der Geist muss sich dabei ganz auf sich selbst konzentrieren.
NK: Wovon haben Sie sich währenddessen ernährt?
A.N.: Von Knäckebrot und Kaffee (schmunzelt).
NK: Ist die Zeit allein und ohne Unterhaltung überhaupt vorangegangen?
A.N.: Anfangs kam es mir tatsächlich so vor, als schreite die Zeit nicht voran. Irgendwann habe ich aber jegliches Zeitgefühl verloren und gegen Ende des Experiments ist die Zeit gerast.
NK: Und während dieser Isolation haben Sie entschieden, es mal als Maler zu versuchen?
A.N: Irgendwann habe ich angefangen, Bilder in mir drin zu sehen – in ungeheurer Menge und Vielfalt. Dabei wurde mir auch bewusst, dass ich Farben hören kann. Das ist vielleicht ein bisschen schwer zu erklären, aber in totaler Dunkelheit war es tatsächlich so, als sehe ich Musik oder höre Farben, die Sinngrenzen sind einfach miteinander verschmolzen.
NK: Also könnte man sagen, Ihre Bilder sind Symphonien der Töne, die Sie während ihrer Isolation gesehen haben.
A.N.: Ganz genau! Mir war sofort klar, dass diese Bilder auch wieder aus meinem Kopf heraus müssen. Ich wollte diese wunderschönen Formkreationen gern mit anderen teilen. Zunächst war das aber sehr experimentell, ich wusste nicht sofort, wie ich die imposante Farbpracht auf Papier bzw. Karton bringen sollte, bis ich meine spezielle Füllertechnik entwickelt hatte. Übrigens haben schon die alten Griechen Isolation in der Dunkelheit genutzt, um innere Bilder herbeizurufen. Aber das wusste ich damals noch nicht. Frau Prof. Yulia Ustinova von der Ben-Gurion Universität des Negev in Israel ist Expertin für bewusstseinsverändernde Praktiken in der Antike und wir stehen im Austausch miteinander. Sie sieht in meiner Kunst die Richtung ihrer Forschungen bestätigt und unterstützt unsere Ausstellung mit einem faszinierenden Textbeitrag. Er ist in unserem Programmheft abgedruckt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass man meine Kunst auch aus diesem, man könnte fast sagen, zeitlosen Winkel aus betrachten kann.
NK: Denken Sie, Ihre Bilder erzielen die selbe Wirkung auf andere, wie auf Sie selbst?
A.N.: Nein, und das ist auch keinesfalls gewollt. Ich bezeichne meine Füllermalerei auch als „gnostische Kunst“. Meine Bilder tragen nur selten einen Namen. Ich will niemandem vorschreiben, was er darin zu sehen hat. Jeder Betrachter darf sich treiben lassen und in meinen Motiven das sehen, was sie in seiner persönlichen Phantasie hervorrufen.
NK: Was wünschen Sie sich für Ihre Ausstellung in Worms
A.N.: Ich wünsche mir ein breites Publikum. Kunst soll für alle zugänglich sein. Ich glaube nicht, dass man Kunstverständiger sein muss, um Malerei auf sich wirken zu lassen. Im Gegenteil, vielleicht genießen unvoreingenommene Betrachter sogar ein größeres Kunsterlebnis.
Ausstellung in Worms
Axel Neumann setzt seine filigranen Kunstwerke mit Licht, Musik und einer Computeranimation in Szene. Die farbintensiven Motive wirken so hautnah mit einer enormen Intensität. Die Ausstellung ist (nach der Kulturnacht) noch bis zum Samstag, dem 29. Juli, jeweils montags bis freitags, von 10 bis 18 Uhr, und samstags, von 9 bis 12 Uhr, geöffnet.
Kulturnacht
Eintauchen in ein buntes Kulturprogramm voller Musik, Ausstellungen, Führungen, Theater und vielem mehr – dieses Angebot können die Besucher der 11. Wormser Kulturnacht am 8. Juli wieder auskosten. Mit zahlreichen Live-Acts steht das Event ganz im Zeichen klangvoller Unterhaltungsmomente. Auch in den Bereichen Kunst, Theater und Stadtkultur wartet ein spannendes Programm. Das gesamte Programmheft findet man zum Herunterladen unter www.kulturnacht.worms.de. Tickets sind für neun Euro u.a. beim Nibelungen Kurier, Prinz-Carl-Anlage 20, 67547 Worms, sowie bei allen bekannten Ticket Regional-Vorverkaufsstellen oder unter www.kulturnacht.worms.de erhältlich. Die Karten kosten zwölf Euro an den Abendkassen.