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01.00 Uhr | 17. Januar 2014
Ausstellungseröffnung in der KZ-Gedenkstätte Osthofen mit Finanzminister Dr. Carsten Kühl / Noch bis zum 5. Juni geöffnet

„Von legalisierter Ausplünderung der Nachbarn“

Dr. Carsten Kühl. Foto: Karolina Krüger

Dr. Carsten Kühl. Foto: Karolina Krüger

Von Karolina Krüger Vieles ist inzwischen von den Greuel- und Schandtaten des Dritten Reiches in Bezug auf die Juden bekannt geworden, SS und Gestapo sind es, die immer wieder an erster Stelle genannt werden wenn es um Untaten geht.

Wer aber hätte tatsächlich geglaubt, dass die Finanzbehörden und Verwaltungen durch die Steuergesetzgebung und deren Vollzug einen großen Anteil an der ausweglosen und verzweifelten Situation vieler jüdischer Familien schon kurz nach 1933 hatten?

In der Ausstellung „Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen und Rheinhessen 1933–1945“ werden in der KZ Gedenkstätte Osthofen im Ziegelhüttenweg  eindringliche, persönliche Beispiele betroffener Juden aus dem Osthofener Umland in Bildern und Dokumenten erzählt und so die, aus Hessen stammende, Wanderausstellung, um lokale Exponate und Geschichten ergänzt.

Einfühlsam umrahmten die Schwestern Leonie und Juliane Flaksman mit Werken für Violine  und Violoncello von Frederigo Fiorillo, Reinhold Gilère und Johann Sebastian Bach musikalisch den Abend.

Zufriedenheit durch Abzocke
In seiner Begrüßung unterstrich Wolfgang Faller, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, die Unglaublichkeit der Vorgänge, stünden Finanzbehörden nicht wirklich in dem Ruf  Gesetze zu beugen oder Steuerpflichtige zu diskriminieren.

Aer gerade sie waren es, die in erheblichem Maße das Elend der Juden systematisch verursachten, sie aller finanzieller Möglichkeiten beraubten, der Nazimaschinerie auslieferten und zur Bereicherung des deutschen Volkes mittelbar aber auch unmittelbar beitrugen. Vieles wurde durch die Besitztümer und deren Verkauf, die konfisziertem Vermögen der jüdischen Deutschen im Nazideutschland überhaupt erst finanzierbar. Die Ausplünderung führte so zur Zufriedenheit der deutschen Bevölkerung.

Neben Berlin ist Osthofen erst die zweite Station außerhalb Hessens, zu dem historisch Rheinhessen ja gehörte, in der die Zeitdokumente gezeigt werden.

Schirmherr Dr. Carsten Kühl will sensibilisieren
So verwundert es nicht, dass Schirmherr der Ausstellung der rheinland-pfälzische Finanzminister Dr. Carsten Kühl ist, der u.a. eine Gedenkstätte gegen die fiskalischen Entgleisungen der Zeit von 1933 bis 1945 in das Finanzamt Neustadt zur Mahnung der jungen Finanzbeamten, die im Nahe gelegenen Edenkoben ausgebildet werden, eingliedern lassen möchte.

Aus einer Dynastie von Finanzbeamten stammend, sowohl der Vater, als auch der Großvater waren im Dienste des Fiskus, wurde im familiären Umfeld zwar über die NS Zeit gesprochen, aber die Enteignungen waren im Hause Kühl nie ein Thema.

Verschonte den Vater die Gnade der späten Geburt vor Schuld und Verantwortung, war der Großvater in den Jahren 1933 – 1935 sehr wohl für das Unrechtsregime tätig, ohne jedoch seine Erlebnisse weiterzugeben. Kühls Erstaunen ist besonders in der Überraschung der betroffenen, angeblich unwissenden, Generation, in der Verstrickung der scheinbar unpolitischen Finanzverwaltung als Motor politischer Ziele und der Perfidität der Judenverfolgung in allen Bereichen begründet.

Finanzverwaltung zentrales Mittel zur Einschüchterung
Dr. Katharina Stengel vom Fritz-Bauer-Institut führte in die Ausstellung ein und verdeutlichte, welche Kreise das Vorgehen der Reichsfinanzverwaltung zog.

Auch wenn man das nicht vermutete, so war die Reichsfinanzverwaltung das zentrale Mittel zur Einschüchterung und Vertreibung der Juden, Ziel war es das Leben so unerträglich, so ärmlich zu machen, dass das einzige Ziel der Betroffenen die Flucht sein sollte.

Ein großes Bündel fiskalisch wirksamer Maßnahmen wurde geschnürt und immer weiter ausgebaut, Berufsverbote, Enteignungen und immer abenteuerlicher werdende Steuerarten, wie die Reichsfluchtsteuer, Umzugsgutsteuer, Devisenverkehrssteuer gipfelten zuletzt ab 1937 in einer Beschlagnahmung sämtlichen Besitzes bei Verdacht auf Reichsflucht und der Kollektivstrafe für alle Juden in Höhe von 1 Milliarde Reichsmark.

Tiefergreifende Lesung
Verarmt fehlte letztlich das Geld zur Flucht und die Zielländer wollten die mittellosen Juden nicht mehr aufnehmen. Tief ergreifend war auch die von Helge Heynold, Mitarbeiter des Hessischen Rundfunks, vorgetragene Lesung aus Dokumenten zum Thema. Große Ergriffenheit und Betroffenheit erfasste die Zuhörer und trotz des Wissens um die Richtigkeit fiel es schwer sich vorzustellen, dass diese Dinge tatsächlich hier passieren konnten.

Das Negieren des Menschenwertes durch das Absprechen jeglichen Besitzes, das immer noch nicht vorhandene Unrechtsbewusstsein in Fragen der Rückerstattung und Wiedergutmachung, sowie das Freisprechen Beklagter aus Mangel an Beweisen, wie es noch 1975 in einem Prozess geschah, ist nach wie vor unfassbar.

Wurde in frühen Prozessen immer wieder auf  fehlende oder zerstörte Akten der Finanzverwaltung verwiesen und so die Gerechtigkeit auch Jahrzehnte nach dem Holocaust den Betroffenen und deren Erben verweigert, gab es Ende der 90iger Jahre einen Finanzbehördenbeschluss, alle Akten an Archive zur Aufarbeitung weiterzugeben.

Willen zur Wiedergutmachung
Und doch bleibt der Zweifel an der Aufrichtigkeit, dem Willen zur Wiedergutmachung, wenn bekannt wird wie langsam die Mühlen z.B. im Fall des Münchner Kunstfundes mahlen und wie gerne solche Funde nicht veröffentlicht werden würden.

Im Schlusswort berichtet auch Volker Gallé, Vorsitzender des Fördervereins Projekt Osthofen e.V., dass selbst heute, bei der Recherche für die regionalen Bezüge der Ausstellung einige Gegenkräfte noch immer zu öffnende Türen mit Macht zuhalten wollten, wir also auch fast 70 Jahre nach dem Unrecht nicht zur schonungslosen Offenlegung bereit sind.

Wie versöhnlich sind da Geschichten, wie die der Familien Knab aus Udenheim, die durch das von Herzen kommende Geschenk eines Kaufladens der jüdischen Familie Buchdahl, heute wieder Kontakt zu den in Kanada und Australien wohnenden Nachkommen hat und deren Besuch in Deutschland mit großer Spannung und Vorfreude erwartet.

Dieser und anderen Geschichten kann man noch bis zum 5. Juni nachspüren.

Weitere Informationen unter www.projektosthofen-gedenkstaette.de

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