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15.26 Uhr | 12. März 2023
Internationaler Frauentag: AsF hatte am Samstag zur Feierstunde mit Malu Dreyer in das Rathaus eingeladen

„Wir brauchen die Kraft der vielen Frauen“

Seit 18 Jahren ist Regina Mayer die Leiterin des Frauennotrufes Warbede Frauenzentrum Worms und Alzey. Fotos: Rudolf Uhrig

Seit 18 Jahren ist Regina Mayer die Leiterin des Frauennotrufes Warbede Frauenzentrum Worms und Alzey. Fotos: Rudolf Uhrig

Von Rudolf Uhrig › Seit vielen Jahren findet in Rheinland-Pfalz zum Internationalen Frauentag eine Veranstaltung statt, zu der federführend der Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) einlädt und die von der örtlichen AsF gestaltet wird. Hier nimmt in aller Regel die Ministerpräsidentin des Landes teil. Der Ort der Veranstaltung wechselt jährlich, im letzten Jahr war es Ludwigshafen, in diesem Jahr Worms. Dafür hatte sich Erika Roth eingesetzt.

Insofern konnte Ricarda Martin-Dreher, die Vorsitzende der AsF im Unterbezirk Worms, am Samstag Malu Dreyer im Ratssaal begrüßen. Der Empfang der Ministerpräsidentin war ausgesprochen herzlich: Zahlreiche Handy-Bilder von und mit ihr wurden geschossen und viele Hände geschüttelt. Allerdings wichen die freundlichen Minen schnell, denn das Thema „Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“ offenbarte sich in der Begrüßung von Martin-Dreher, die beschrieb, dass Gewalt gegen Frauen viele Gesichter hat; am Arbeitsplatz, in der häuslichen Gemeinschaft und aktuell auch im Ukraine-Krieg.

Alle 4,5 Minuten ein Fall häuslicher Gewalt
Der Wormser Oberbürgermeister Adolf Kessel untermauerte dies mit Zahlen, mit denen dem er beschrieb, dass im Jahr 2021 115.000 Fälle bekannt wurden, wonach alle 4,5 Minuten häusliche Gewalt angewandt worden sei. Dazu zähle auch psychischer Druck, der an Frauen und Mädchen ausgeübt werde. „Auch 2023 gibt es immer noch keine befriedigende Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie, große Unterschiede bei der Bezahlung von Frauen und deren Karrierechancen. Und es gibt immer noch die alten Rollenmuster.“ Aber Kessel machte auch Mut, als er feststellte, dass Frauen ganz selbstbewusst meinten „Ohne uns läuft nix…!“

Große Bewunderung für iranische und ukrainische Frauen
Die Ministerpräsidentin brachte ihre große Bewunderung für die Frauen im Iran zum Ausdruck: „… man muss es sich immer und immer wieder vergegenwärtigen, was Frauen dort wagen.“ Auch zeigte sie große Sympathie und Empathie für die Frauen in der Ukraine.

„Gegenwärtig erleben wir eigentlich wieder Rückschnitte“, stellte Dreyer fest, denn Frauen besäßen nur 70 Prozent der gesetzlichen Rechte weltweit. „Wütend und sauer macht mich auch, dass sich dies in der Bezahlung von Frauen manifestiere. Frauen wollen Gleichberechtigung, Männer müssen auch einmal Platz machen, einen Schritt zurücktreten, damit das gelingt.“ Dreyer weiter: „Wir müssen Mädchen und junge Frauen stark machen, sich zu wehren und sie ermutigen, dass auch sie in der Politik und in Unternehmen Verantwortung übernehmen, das ist die Aufgabe unserer Zeit. Wenn das gelingt, ist es angenehmer für uns alle. Wir müssen einen strukturellen Wandel zur Gleichberechtigung herbeiführen!“

Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen
War Dreyer das politische Schwergewicht der Veranstaltung, so war es Regina Mayer im gesellschaftlichen, denn die Diplom-Psychologin, Psychotraumatherapeutin und systemische Therapeutin, befasst sich seit Jahrzehnten in feministischen Kontexten mit gewaltbetroffenen Frauen sowie den dissoziativen Strukturen als deren Folge. Seit 18 Jahren ist Regina Mayer die Leiterin des Frauennotrufes Warbede Frauenzentrum Worms und Alzey.

Mayer richtete in ihren Ausführungen den Fokus auf sogenannte „Sexualisierte Gewalt“ als ein Gesicht von Gewalt an Frauen. „Im öffentlichen Diskurs ist die häusliche Gewalt, also Männergewalt an Frauen in Paarbeziehungen, das dominierende Thema, worüber viel weniger gesprochen wird,“ so Mayer weiter, „sind all die Formen sexueller Belästigung und Übergriffe, die Frauen in allen Lebensbereichen kennen und noch viel schwieriger wird das Sprechen über schwere Formen sexueller Gewalt wie Vergewaltigung und sexueller Missbrauch in der Kindheit.“

Zahlreiche Beispiele aus der Praxis
An vielen Beispielen aus der Praxis machte sie dies deutlich. „Das heißt, bei uns melden sich Frauen direkt nach dem Übergriff, aber auch oft erst ein, zwei Jahre nach der Tat. Eben dann, wenn sie spüren, dass sie die Folgen der Gewalt nicht mehr alleine ertragen können. Dazu zählen auch sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz, solche, die unter Einfluss von K.O.-Tropfen begangen wurden, oder solche, die in der digitalen Welt passieren, wo Frauen und Mädchen sexuell bedroht und gestalkt werden“. Aber es seien auch Frauen darunter, die schon jahrzehntelang Opfer organisierter sexueller Gewalt sind. „Bei all diesen Situationen stehen wir mit unserer feministisch-parteilichen Haltung beratend zur Seite. Frauen und Mädchen werden nicht pathologisiert und die Ursachen von Gewalt und Trauma im gesellschaftlichen Kontext benannt“.

„Sinnstiftende Tätigkeit
Mayer berichtet über die vielen Schicksale und wie die Beratenden des Frauennotrufs damit umgehen. 1.800 Frauen habe sie selbst im Laufe ihrer Tätigkeit beraten, ihnen zugehört und versucht, Worte für das Erlebte zu finden, das Unrecht und die Ungerechtigkeit auszuhalten. Ihnen Mut gemacht, im ,Hier und Heute’ dennoch ein gutes Leben zu führen. „Ich habe mit diesen Frauen aber auch gelacht, ihre Erfolge gefeiert, ihre Stärken und Ressourcen bewundert, ihren Überlebenswillen bejubelt.“ Und sie zieht ein Fazit, indem sie sagt, „dass gute parteiliche Beratung einen Unterschied für betroffene Frauen macht. Raum und professionelle Beziehung anbieten zu können, die es ermöglichen, das Unsagbare ‚sagbar’, das Tabuisierte sichtbar und das Unaushaltbare aushaltbar zu machen – all das ist ein sehr sinnstiftender Teil meiner Tätigkeit. Ich sehe positive Veränderungen, an denen ich einen Anteil haben darf.“ Aber Regina Mayer stellt auch Forderungen an Politik und Gesellschaft „… Vieles wurde erreicht – Vieles noch nicht“!

Einen ganz großen Dank richtete Mayer an Jasmine Olbort, die Gleichsstellungsbeauftragte der Stadt Worms für ihre solidarische, fachlich so erstklassige Unterstützung. Mayers Vortrag wurde vom Auditorium minutenlang beklatscht.

Dr. Agnes Allroggen-Bedel, die stellvertretende AsF-Landesvorsitzende befand, dass es ein sehr emotionaler Tag war. Die Feierstunde wurde durch Anna Philoan musikalisch untermalt.

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Geschrieben in Worms und Ortsteile

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