Von Florian Helfert › Laut einer aktuellen Regional-Analyse des Pestel-Instituts im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) muss gebaut werden: Bis 2028 braucht Worms den Neubau von rund 400 Wohnungen – und zwar pro Jahr. „Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit an fehlenden Wohnungen abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen“, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut.
Der Wissenschaftler erwartet, dass das Baupensum allerdings zurückgeht: Günther spricht von einem „lahmenden Wohnungsneubau, dem mehr und mehr die Luft ausgeht“. So gab es in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach Angaben des Pestel-Instituts in ganz Worms lediglich für 48 neue Wohnungen eine Baugenehmigung.
Zum Vergleich: In 2023 seien es im gleichen Zeitraum immerhin noch 95 Baugenehmigungen gewesen. Ein Rückgang von 49 Prozent. Bundesweit betrug der Rückgang im ersten Halbjahr 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum gemäß laut dem GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen 21,1 Prozent. Und was daraus folgend heute nicht beauftragt werden kann, kann morgen nicht gebaut werden.
Auch die Zahl leer stehender Wohnungen ändert aus Sicht der Regional-Analyse nichts am Wohnungsbedarf in Worms: Der aktuelle Zensus registriere für Worms immerhin rund 2.000 Wohnungen, die nicht genutzt würden, so das Pestel-Institut. Das seien 4,5 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand in der Stadt.
Doch rund 1.080 Wohnungen beziehungsweise 54 Prozent stünden schon seit einem Jahr oder länger leer. „Dabei geht es allerdings oft um Wohnungen, die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer saniert werden“, sagt Matthias Günther.
Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand aber immer auch nötig. „Rund drei Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können“, so das Fazit von Matthias Günther.
Auf NK-Nachfrage teilte die Pressestelle der Stadt Worms die Leerstandsquoten der Wohnungsbau GmbH Worms mit. Ihr Leerstand liegt derzeit bei 5,3 Prozent beziehungsweise bereinigt um Wohnungen, die für Modernisierungs- bzw. Instandhaltungsmaßnahmen vorgesehen sind, bei 2,4 Prozent (Stand Juli 2024). Ziel sei es, den Leerstand auf circa zwei Prozent zu reduzieren. Die städtische Tochtergesellschaft agiert also mustergültig.
Viele Hauseigentümer halten sich nach Beobachtungen des Pestel-Instituts mit Sanierungen zurück: „Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutz-Auflagen – wann kommen. Es fehlt einfach politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, kritisiert der Leiter des Pestel-Instituts.
Außerdem hapere es bei vielen auch am nötigen Geld für eine Sanierung. Weitere Gründe, warum Wohnungen nicht vermietet werden: „Immer wieder kommt bei Erbstreitigkeiten kein Mietvertrag zustande. Und oft scheuen sich Hauseigentümer auch, sich einen Mieter ins eigene Haus zu holen, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen“, sagt Matthias Günther.
Für die Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) macht die Untersuchung eines deutlich: „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr“, sagt Katharina Metzger.
Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen. Sie warnt: „Am Ende stoppen überzogene Förderkriterien, Normen und Auflagen den Neubau von Wohnungen.“
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, wie SWR-Recherchen unter dem Titel „Viele Normen – teure Wohnungen?“ (abrufbar in der ARD-Mediathek) Mitte April enthüllten, dass vor allem Wirtschaftsvertreter Baunormen in entsprechenden Arbeitsausschüssen des gemeinnützigen Deutschen Institut für Normung (DIN) festlegen. In ihnen gebe es mitunter ein eklatantes Übergewicht der Wirtschaft.
Erschwerend kommt hinzu, dass Ungemach aus dem fernen Brüssel droht, denn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen möchte sich dem Thema bezahlbaren Wohnen widmen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fürchtet zusätzliche Bürokratie und Vorgaben.
Oder wie es Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW formuliert: „Wichtig ist, dass sich die Tätigkeit eben auf eine Unterstützung des Wohnungsbaus ausrichtet – und nicht neue Reglementierung bedeutet.“
Für die Verbandschefin vom Baustoff-Fachhandel steht jedenfalls eines fest: Ohne eine deutlich aufzustockende staatliche Unterstützung würden weder der notwendige Neubau noch die Sanierungen von Wohnungen im erforderlichen Umfang gelingen.
Außerdem kritisiert sie den geplanten Bundeshaushalt für 2025: Darin fehlten allen voran für den sozialen Wohnungsbau Fördermittel.
Der benötigt nach Berechnungen des Pestel-Instituts mindestens zwölf Milliarden Euro pro Jahr von Bund und Ländern. Der Bund stelle für 2025 jedoch lediglich 3,5 Milliarden Euro bereit.
Auch die Perspektive sei schlecht: Bis 2028 wolle die Bundesregierung Sozialwohnungen in Summe mit weniger als 22 Milliarden fördern. Die Situation sei fatal, denn Wohnungsnot treffe auf Nicht-Wohnungsbau. Eine toxische Entwicklung.
„Wenn sich Menschen wochen- und monatelang um eine neue Wohnung kümmern müssen, dann braut sich da etwas zusammen. Das ist Gift für das soziale Miteinander in der Gesellschaft“, so Katharina Metzger. Quer durch alle Bevölkerungsschichten baue sich, wie auch der GdW attestiert, ein immer größeres Frustpotenzial auf.
Mit den 2022 genehmigten 211 geplanten Wohnungen im Gerberquartier, dem Licht-Luftbad-Quartier (Baugenehmigungsverfahren läuft), In den Lüssen (Bebauungsplanverfahren läuft) und dem Gleisdreieck Rheindürkheim (Bebauungsplanverfahren läuft) arbeitet die städtische Verwaltung parallel an gleich vier neuen Stadtquartieren. Und die städtische Tochter Wohnungsbau baut neu (Fischmarkt), saniert (Alzeyer Straße) und bereitet ein weiteres Großprojekt vor (Nordend Kleine Weide).
Insgesamt umfassen diese drei Projekte 130 Wohneinheiten, davon rund 87 Prozent sozial gefördert, mit einem Projektvolumen von ungefähr 50 Millionen Euro. Dies entspricht rund 37 Prozent der Bilanzsumme der Wohnungsbau.
„Die Wohnungsbau GmbH sieht zudem widersprüchliche Signale hinsichtlich der Nachfrage nach Wohnraum“, informiert Carsten Schneider-Wiederkehr als städtischer Pressesprecher. So gebe es zwar regelmäßige Gesuchsanfragen, die Besichtigungsquote liege aber bei nur 20 bis 30 Prozent, d.h. von zehn Einladungen zu Besichtigungen kommen nur zwei bis drei zustande.
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