Di., 11. Juni 2013, 00:33 Uhr
Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ in Pfiffligheim fördert Schlüsselkompetenzen
Wenn das Spielzeug Urlaub hat
Wenn es im evangelischen Kindergarten heißt „Das Spielzeug hat Urlaub“, dann wandern die Puzzles, Brettspiele, Bälle und Bücher für zehn Wochen in den Schrank. Was vielleicht zunächst mit ‚Wegnehmen‘ assoziiert wird, fördert vielmehr Schlüsselkompetenzen wie Kreativität, Kommunikationsfähigkeit und Selbstvertrauen.
Bereits vor 20 Jahren beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe in Bayern mit der Entwicklung eines suchtpräventiven Projektes im Kindergarten, das an der Lebenskompetenzförderung ansetzt. Dazu gehören etwa die Fähigkeiten, Bedürfnisse wahrzunehmen und zu artikulieren sowie die Fähigkeit zum sozialen Verhalten. Heute hat dieser pädagogische Ansatz in zahlreichen europäischen Kindergärten Einzug gehalten – seit acht Jahren sind auch die Mitarbeiter im evangelischen Kindergarten Pfiffligheim vom Erfolg dieses Konzepts überzeugt.
Kinder basteln eigene Spiele
„Langeweile ist ausdrücklich erwünscht“, erklärt Ulrike Hollerith, Leiterin der evangelischen Kindertageseinrichtung in Worms-Pfiffligheim. Wer sich langweilt, entwickle oft erstaunliche Ideen, so die pädagogische Fachkraft. Wie die Kinder, die ihr Memory-Spiel so sehr vermissten, dass sie sich über mehrere Tage intensiv damit beschäftigten, ein eigenes Spiel zu basteln. Neben den erinnerten Bildern aus dem „echten“ Spiel, wurden viele neue Ideen für die Gestaltung der Kärtchen entwickelt. Eine zentrale Rolle beim Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ spielt das soziale Miteinander der Kinder.
Dies zeigte sich jüngst beim Bau einer Stadt aus alten Kartons. „Die sich daraus entwickelten Rollenspiele waren sehr intensiv“, erinnert sich Hollerith. So wurden etwa zwei der Häuser aus Pappkarton durch einen „Mauerdurchbruch“ zusammengeführt, weil sich die „Nachbarn“ so gut verstanden. Die Erzieherinnen stehen bei den verschiedenen Aktivitäten stets unterstützend zur Seite, doch es sei eine große Herausforderung, sich zurückzuhalten, räumt Hollerith ein: „Wir sind ja daran gewöhnt, die Kleinen ständig zu ‚bespaßen‘ und nehmen ihnen dadurch natürlich auch die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Dabei ist das so wichtig für eine gesunde Entwicklung.“
Auch die „kleinen Ideen“ bringen Abwechslung in den Alltag der Kinder. Sind keine Bauklötze zur Hand, bedienen sich die Kleinen in der Natur oder sie schleppen Töpfe und Trinkbecher aus der Küche heran. Auch Organisationtalent ist gefragt: Im letztjährigen Projekt wollte ein kleiner Mann – selbst begeisterter Museumsbesucher –einen Ausflug ins Wormser Stadtmuseum unternehmen. „Dafür brauchen wir eine Liste“, wusste der Steppke und ließ jedes Kind mit seinem Namen oder einem Symbol die Teilnahme bestätigen.
Am Ende der zehn Wochen kommt das Spielzeug wieder und immer sind sich alle einig: „Wir haben eigentlich gar nichts vermisst!“ Klaus-Dietmar Fischer, evangelischer Pfarrer in Pfiffligheim, begleitet das Projekt und kann die Einschätzung der Kinder bestätigen: „Man kommt hier rein und die Kinder spielen wie immer. Erst auf den zweiten Blick stellt man fest, dass sie mit Stöckchen, Steinen oder leeren Klopapierrollen spielen und nicht mit industriell gefertigtem Spielzeug.
Familiär geführte Einrichtung
Mit zwei Gruppen ist der evangelische Kindergarten in Pfiffligheim eine kleine Einrichtung, die sehr familiär geführt wird. „Wir als Kirchengemeinde sind froh darüber, so können die Erzieherinnen viel intensiver auf die Kinder eingehen“, so Fischer, der das Engagement des Teams lobt und das Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ dort in guten Händen weiß. Gleich bei der Anmeldung ihrer Kinder erhalten die Eltern Informationen zu dieser Förderungsmaßnahme, die einmal im Jahr, meist im Frühjahr, durchgeführt wird. Derzeit verfügt der Kindergarten noch über freie Plätze, weitere Informationen erteilt Leiterin Ulrike Hollerith, 06241/76846.